Katrin Seebacher, © Libelle Verlag
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»Wenn man’s wüsste, welche Zeit ist …«
Zum Tod von Katrin Seebacher


Die Nachricht war aufs Band gesprochen, als ich von einer Reise durch Buchhandlungen in der Region heimkam. Ein Freitag im Februar, blauer Vorfrühling überm See. In Tettnang, in der Montfortschen Buchhandlung, war Anna Rahm noch auf Katrin Seebachers Roman »Morgen oder Abend« zu sprechen gekommen, in jenem warmen Ton der Begeisterung, den Bücher bewirken können, wenn sie zu Herzen gegangen sind; einige Kundinnen, denen die kluge Sortimenterin die Geschichte der widerspenstigen, vergesslichen, tagträumenden Alba empfohlen hatte, waren aus der Lektüre ähnlich erheitert und hell-sichtig zurückgekehrt.

Katrin Seebacher war in der Nacht zum Freitag gestorben, dreissig Jahre alt, ein plötzlicher Hirntod, ein Herztod, Aneurysma, in der Wohnung eines Frankfurter Bekannten. Ein Sterben am Rand des Schlafs, das der Notarzt nicht mehr auf-halten konnte, so heisst es. Stunden zuvor noch hatte sie in geselliger Runde im Literaturhaus verbracht. Vielleicht hat sie mit jener beiläufigen Ironie, die sie bei der Erwähnung eigener Leistungen entwickelte, vom gerade summa cum laude be-standenen Rigorosum erzählt, in Freiburg war das gewesen, am Anfang des Monats. Sie erlebte gerade die ersten Tage nach ihrem förmlichen Beschluss, das ungesicherte Leben einer freien Autorin zu versuchen, also wurde über Literaturstipendien, Preise, die mögliche Infrastruktur der neuen Existenzform verhandelt.

Sie genoss ihren beginnenden Ruhm, konnte stolz darauf sein, dass die Einladungen bereits ein Dutzend Termine bis in den späten Sommer streuten. Und es war die bessere Variante der Kalenderfüllung: Da musste der Verlag gar nicht herumtelefonieren, die Anfragen kamen aus Sortimenten, literarischen Gesellschaften und VHS-Kreisen von Menschen, die von Thematik wie Sprache ihres Buchs berührt waren. Angelika Overath hat in ihrer Besprechung in der NZZ vom 6. Februar, zugleich mit der Nachricht vom Rauriser Literaturpreis für diesen überragenden Erstlingsroman, von »jenem stilistischen Takt, der eine seltene menschenfreundliche Sensibilität verrät« geschrieben. Es kommt selten vor, dass Kritiken bei zeitgenössischer Prosa das Zusammengehen von Artistik und Ethik rühmen können.

Katrin Seebacher ist 1966 in Karlsruhe geboren, »wuchs auf dem Lande auf und begann ihre schriftstellerischen Gehversuche mit Grundschullyrik«. Sie schrieb Kurzgeschichten seit 1986, eine wurde in Freiburg, wo sie fortan studierte, ausgezeichnet. 1989 gründete sie die Literaturzeitschrift »Symposion« mit, erste Lesungen, dann im Selbstverlag, den sie mit ihrem Lebensgefährten begann, ein Bändchen mit Kurzgeschichten, eine davon war die Keimzelle einer grösseren Erzählung, die seit 1993 zu einem Roman anwuchs und ihre wissenschaftliche Arbeit über die deutsche Romantik ein wenig an den Rand drängte.
Der Roman kam als eines von vielen unverlangten Manuskripten im Dezember 1995 bei uns an, ein förmlich professionelles Entrée: schwungvolle Unterschrift, gekonntes Exposé. Eigentlich hatte ich den Band schon weggelegt, in einer jener raschen Ausgrenzungen, mit denen die Verlegerei sich immer wieder aus dem Alltag rettet: Dann sah ich aber meine Frau über Weihnachten in eine Lektüre abtauchen, aus der sie nach zwei Tagen wie verändert von dieser unbekannten Frauen-stimme mit dem dringenden Rat wieder auftauchte: das musst du selbst auch lesen.

Mich nahm dann die gleiche Faszination gefangen. Sie, ging von der kultivierten Sprache aus, von der Detailbesessenheit und den Ubergängen in die Wahrnehmung des Phantastischen, von der bewegenden Menschengeschichte und dem wie getuschten Hintergrund eines Jahrhunderts. zwischen Italien und Deutschland. Das gibt es: dass ein Text bezwingend werden kann: vom ersten Satz »Abend oder Morgen? Wenn man’s wüsste, welche Zeit ist …« bis zur letzten Seite mit Albas ratloser Klage am Bett ihrer Schwester, die im Schlaf gestorben ist.

Meine erste Post an sie bestand aus unserem Prospekt, bei der Briefanrede »liebe Poetessa« bin ich aber von jener Anfangszeit an geblieben: Die Schreibart ihrer Frauengeschichte bewies bei jedem weiteren Textdurchgang jenen nicht zu fassenden Überschuss, der schriftstellerische Brillanz an Dichtung reichen lässt. Sie hat mehrere Monate mit »Sehr geehrter Herr« geantwortet (bis sie zu »bester Editore« fand). Das gehörte wohl im Leben wie in ihrem schriftstellerischen Phantasiewerk dazu: eine ganz unmodern behutsam distanzierte Art der Näherung.

An einem Schneetag im Februar besprachen wir unsere Übereinkunft, vom Termin ihrer Diskettenübergabe bis zur Auslieferung Ende August. Und dann ihr Buch, Seite für Seite; ich bin froh, dass sie mir meine Bedenken über ein Kapitel mit markant verändertem Erzähltempo damals nicht zugestanden hat. Die lichte Stärke ihrer Augen, so übergross wie die der Droste. Ihre Aufrichtigkeit beim Überdenken, die Leichtigkeit, mit der sie Verbesserungen zugestand, und ihre nicht auftrumpfende Sicherheit, wo sie ihre Schreibart im Recht wusste. Sie hatte keine Lieblingsautoren, achtete auf keine feuilletongerechten Schreib-moden und hatte doch viel mehr gelesen, als sie zugab.

Now she is scattered over a hundred cities …, ihr Roman, in dem die Lust, weiterzuleben in Phantasie und Erinnerung, ein Hauptthema ist und in dem ihr auch die Sterbeszene gelang, wird nach ihrem frühen Tod noch andere Lesarten hinzugewinnen. Ihre Stimme, gedruckt, wird bleiben. Was ihr der plötzliche Absturz aus glück-lichen letzten Tagen heraus erspart hat, können wir nicht wissen, was Katrin Seebacher an Leben, Schreiben, Wirksamkeit nun für immer unmöglich geworden ist, bleibt Phantasie am Rand der vergeblichen Wünsche. Jeder Tag ist ein guter Tag, um geboren zu werden, jeder Tag ist ein guter Tag, um zu sterben: Hannah Arendt hat dieses Wort des Roncalli-Papstes überliefert. Es ist ein Trost, es ist kein Trost.
Ekkehard Faude


In: NZZ, 25. Februar 1997 sowie »Deutsche Literatur 1997«, Jahresrückblick, Reclam, Stuttgart
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