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Das Künstlerehepaar Elisabeth und Fritz Mühlenweg

Ekkehard Faude anlässlich der Eröffnung der Ausstellung
»Das Künstlerehepaar Elisabeth und Fritz Mühlenweg«
Vernissage 9. Juli 2006, Gnadenkirche, Allensbach

Meine Damen und Herren,
über das Ehepaar Mühlenweg zu sprechen, über Elisabeth und Fritz: diese Einladung durch Frau Schürnbrand habe ich gern angenommen. Am belebendsten ist es ja, über etwas zu reden, was man bewundert, über Menschen, von deren Weltverständnis und Lebensart man auch nach vielen Jahrzehnten noch wünscht, sie kämen öfter vor. Menschen mit einer ungewöhnlichen Lebensleistung, die zudem die Prüfungen ihres Jahrhunderts respektabel bestanden haben. Vorbilder im besten Sinn.
Beim Nachdenken über die beiden geriet ich dennoch in Konfusion: wie soll man sie alle auch fassen, in solcher Kürze -?: Die Maler, deren unterschiedliche Begabungen Sie heute im Raum vereint sehen, den Autor, die Buchillustratorin, den Übersetzer des „Glücklichen Löwen“, die Gestalterin von Wandteppichen. Man müsste über die Frau und den Mann reden, die sich in Wien beinahe verpasst hätten, über die Linzerin, die die größere Hälfte ihres Lebens in Allensbach verbracht hat, über den Konstanzer, der eigentlich seit seinem dritten Lebensjahrzehnt lieber weit weg vom See leben wollte, lange in der Mongolei war und sich dann doch hier niedergelassen hat, - über die jungen Erwachsenen und ihre erheblich entwickelte Fähigkeit, sich einen eigenen Weg zu suchen, und über dieses Elternpaar einer auf sieben anwachsenden Kinderschar…
Beim Nachdenken darüber bin ich auf Abwege geraten. Und so beschreibe ich Ihnen lieber das Mühlenweg-Museum, das ich mir eigentlich wünsche. Eine Sommerausstellung ist ein prima Anfang, aber wir wollen doch weiter denken. Dieses Museum sollte viele Räume haben. Damit die Rede aber nicht zu lang wird, streifen wir nur einige darin.

Hier in Allensbach sollte dieses Museum stehen. Noch gibt es diesen Startvorteil:
Die Konstanzer haben es bisher nicht geschafft, an das Geburtshaus in der Kanzleistraße eine Gedenkplakette anzubringen. Dort machen die Stadtführungen am Nebengebäude Halt, an der Historienmalerei des Rathauses. Dabei könnte doch darauf verwiesen werden, dass da vor 100 Jahren Fritz Mühlenweg seine prägenden Jugendjahre verbrachte, ein Kaufmannssohn, der einer der weltläufigsten Autoren vom See wurde und der einflussreichste literarischen Mittler zwischen der Mongolei und deutschsprachigen Lesern. Ein Autor zudem, aus der verschwindend schmalen Gruppe derer, die sich nicht in Artistik verlieren, sondern die Herzen bewegen.
Die Allensbacher hätten auch sonst die besseren Karten: Denn hier sind diese Werke geschrieben worden, mit mancherlei verdeckten Andeutungen über den genius loci. Man kann sich z. B. ausmalen, wie Mühlenweg seine Genervtheit über den Autoverkehr Konstanz-Radolfzell, der vor seinem Haus zunahm, das war lang vor der Umgehungsstraße, literarisch so umsetzte, dass er in seinem Roman einen LKW verschwinden lässt. Die Wüstenfahrt von Großer Tiger, Kompass Berg und Glück kann so in größerer Stille, auf Kamelrücken weitergehen… Die Stille, dieser angehaltene Atem eines großen Raums, tönt aus vielen seiner Bilder.

Ich glaube, die Allensbacher haben die Einrichtung eines Museums bisher ja nur verschoben! Vielleicht, weil sich noch Erinnerungsreste daran regen, dass diese Mühlenwegs eher zufällig hier ansässig geworden sind. Sie hatten ja schon seltsamerweise in Südfrankreich geheiratet, diese Österreicherin Elisabeth Kopriwa und dieser Deutsche Mühlenweg, nur wenige Wochen nach ihrer ersten Umarmung.
Eine Hochzeit ohne Mütter, ohne Geschwister, mit zufällig Vorbeikommenden als Trauzeugen. Ziemlich à la Bohème…
In ihrem ersten Ehejahr, von Wien aus, wo dann ihre Tochter Regina zur Welt kam,

… und an dieser Stelle hätte ich eigentlich sehr gern in die erste Reihe zu Regina Mühlenweg gegrüßt, die diese Ausstellung ja noch mit auf den Weg gebracht hat und nun zu krank ist, um sie mitzuerleben. Aber wir denken an sie, denn ihrer Umsicht und Erinnerungsarbeit vor allem verdanken wir die Bewahrung des künstlerischen Erbes…

…. von Wien aus wären Fritz und Elisabeth viel lieber nach Italien ausgewandert. Es gab diese Pläne, in deren Hintergrund die alten Abziehbilder vom kargen, idyllischen Künstlerleben schimmern, Olivenbäume, der Blick über die Hügel in eine verschwimmende Bläue. Deutsch sprechende Maler gab es genügend dort. Sie hätten Hans Purrmann in Florenz besuchen und Grüße von Karl Einhart bestellen können, mit dem Purrmann am Bodensee zusammen gemalt hatte.
Den Italienträumen schob die Devisenordnung der NS-Regierung einen Riegel vor: die Monatsraten, in denen der Sohn der Drogerie Kornbeck in Konstanz sein Erbe bezog, und das erst einmal die Basis für ein Leben als freie Künstler werden konnte, erzwang einen Umzug nach Deutschland. Nicht einmal in Österreich konnten sie bleiben, deren „Anschluss“ als Ostmark kam erst drei Jahre später…
Im Januar 1935 bezogen sie das neue, leer stehende Haus an der Konstanzer Straße. Sie hatten damals auch ein älteres direkt am See besichtigt und hinterher regten sich zuweilen Ahnungen, dass das nicht schlecht gewesen wäre…
Aber das neue Haus schien problemloser zu sein: ein Apotheker hatte es eigentlich für seine drei betagten Schwestern gebaut, die fanden es zu eng. „Es gab dann aber Raum für die Eltern und 7 Kinder“: Das schreiben wir im ersten Raum unseres Museums, im Allensbacher Zimmer, unter die Reproduktion dieses allein stehenden Hauses mit ansteigendem Garten dahinter.

(Nebenbei: Das Allensbacher Zimmer liegt im Museum direkt neben dem Ahnen-Zimmer, aber das lassen wir links liegen, man könnte darin allerdings den Fäden folgen, die aus westfälischen Bauern und Kaufleuten, württembergischen Pfarrfamilien, österreichisch-ungarischen Offiziersfamilien, und den „Wildprethändlern“ und Gastwirten jene Mischung ergab, die dann die Zahnarzttochter Elisabeth aus Linz und den Drogistensohn Fritz aus Konstanz in Wien aufeinander treffen ließ.)

Nein, wichtiger ist das Allensbach-Zimmer: In Erinnerung an das nicht bezogene Seeufer-Haus versuchen wir wenigstens ein Foto vom Badehäuschen aufzutreiben. Das Strandleben mit Blick auf die Reichenau war für Kinder wie Eltern von großer Bedeutung. Die Sommer der 40er-Jahre waren lang und trocken. Als an einem staubheißen Tag, noch während des Kriegs, ein von weit her gereister, an Kunst interessierter Geistlicher, der in Zeitschriften auf Illustrationen von Elisabeth Mühlenweg aufmerksam geworden war, die Künstlerin besuchen wollte, wurde er zum Strandbad geschickt. So kam es, dass Elisabeth Mühlenweg eine ihrer wichtigen Bezugspersonen für kirchliche Illustrationsaufträge im Badeanzug kennen lernte.
Wir sorgen vor allem dafür, dass ein Foto des Dorfs den Kirchturm zeigt. Denn eine schöne Familienüberlieferung weiß, dass Elisabeth Mühlenweg sich durch diesen Zwiebelturm an die Kirchtürme ihrer Heimat erinnert fühlte und sagte: mit solchem Blick könne sie wohl auch in einem Haus heimisch werden. Für die 25-jährige, die ihr erstes Kind stillte, war doch alles unvertraut am Bodensee.
Sie hatte ja nicht die Erinnerungen von Fritz, der hier schon früher mit Freunden gewandert war, von Konstanz her, am Kindlebild vorbei. Der Blick des Ruderers vom See her.
Das Allensbach-Zimmer im Mühlenweg-Museum muss nicht unbedingt alle Flurnamen jener Jahre zeigen, hier und heute sei aber doch der unzensierte Text verlautbart, mit dem der journalistisch schreibende Mühlenweg 1938 den Rundblick von hier oben beschrieben hat:
„Von der Hörenbergstraße führt ein Serpentinenpfad hinauf zur Hitlerhöhe und auf den Wasserturm. Hier ist der klassische Aussichtspunkt über den ganzen Untersee. Konstanz ist immer zu sehen, die Alpen seltener, aber die Thurgauer Höhenzüge bis zum fernen Stein, der Schienerberg und der Hohentwiel sind verlässliche Kulissen des schönen Panoramas.“
Mühlenweg hat in dieser Passage eine Uferstadt im Thurgau sorgfältig ungenannt gelassen: Steckborn. Im Jahr nach seiner Rückkehr aus der Mongolei hatte er sich mehrfach dorthin auf den Weg gemacht. Es hat ihn dort eine Frau nicht erhört, mit der gern gelebt hätte.

Das Ungenannte, das Nichtgelebte. Dafür gibt es in keinem Museum ein Zimmer. Vom Faktisch gewordenen lassen wir uns gern überwältigen. Es ist auch einfacher darstellbar. Aber gerade wenn es um zwei Menschen geht mit einer so geglückten gemeinsamen Lebenskonstellation, darf ungeniert daran erinnert werden.
In unserem immer noch imaginären Mühlenweg-Museum richten wir deshalb einen solchen Raum fürs „Nevermore“ ein. Ein Foto von Steckborn erinnert daran, dass Fritz Mühlenwegs Leben, als er die Mitstudentin Elisabeth Kopriwa an der Wiener Akademie bereits kannte, beinahe ganz anders, am Schweizer Ufer vielleicht, verlaufen wäre.
Daneben pinnen wir auch eine Kopie aus dem Jahr 1930, auf dem ihm die Regierung von Neuseeland das Permit für eine Existenz als Farmer dort erteilt hatte. Er hätte damals gern in jedem andern Kontinent, weit weg von Deutschland, weit weg von einer Jugendliebe aus Konstanz, neu begonnen. (Ob die Neuseeländer sich im Juli 2006 Gedanken über ein Museum für den Farmer Fritz Muhlenweg gemacht hätten: wir wissen’s nicht…)

Wir hängen nicht weit von seinen Auswanderungs-Anträgen die beiden frühen Bilder aus den Akademie-Jahren der Elisabeth Kopriwa auf, die wir hier in der Ausstellung sehen. Dort oben links z. B. , die beiden Mädchen von 1932. Dass die 22-Jährige in der Meisterklasse des Professors Ferdinand Andri als Malerin damals mehr konnte als der gerade aus der Mongolei angereiste Mühlenweg, ist unübersehbar. Wir stellen uns die Frage gar nicht erst, weil keiner sie beantworten kann:
In welchen Strömungen der Moderne sich eine hauptberufliche Malerin Kopriwa in Wien oder sonst wo innerhalb der europäischen Malerei hätte entwickeln können…
Wir legen aber einen jener Briefe aus dem Frühjahr 1933 dazu, den sie nach Südfrankreich schrieb, an den einsamen Fritz, der von Beaucaire aus immer heftiger um sie warb. Darin steht, was ihn umso mehr an ihr faszinierte: wie wichtig ihr die Arbeit und die Anstrengung auf ein Ziel hin war. Ihr Klartext, am 27. Mai 1933: »Nun was die Frage betrifft, dass ich erst im Juli komme: Einfach das Gefühl, eine Arbeit tun zu müssen, auszuhalten. Ich will nicht als kleines unglückliches und unbefriedigtes Mädchen zu Dir kommen, sondern als Mensch, der versucht, der wenigstens versucht, in einer Situation, die nicht vergnüglich ist, auszuhalten. Siehst Du, wir hätten vielleicht bald genug voneinander, wenn wir immer der Pflicht aus dem Weg uns in die Arme liefen.«
Sie war damals so mittellos, dass sie zuweilen die Briefmarke nicht bezahlen konnte. Aber Erfolg in einer glückenden Arbeit war sie gewohnt. Ihr Abitur hatte sie fast überall mit der Bestnote bestanden. Und das Akademie-Studium schloss sie dann hervorragend ab, im Gegensatz zu Fritz, der den streng übenden Betrieb nicht ausgehalten hatte. Wir könnten sie uns auch als Kunstlehrerin in Wien oder Linz vorstellen…
In einer Vitrine des Nevermore-Zimmers sollten wir wohl auch das offizielle Schreiben des badischen Ministeriums aus den Dreißigerjahren zeigen: Die Bürokraten lehnten der Österreicherin darin eine Arbeit im deutschen Schuldienst ab. Daneben schlagen wir dann ihren Reisepass auf, aus dem Jahr 1938. In der Rubrik BERUF ist sie reduziert auf das Wort „Hausfrau“.

Reduziert? Nicht in ihrem eigenen Verständnis. Sie wusste, was ihr selbst wirklich wichtig war. Zwei Jahre nach diesem Reisepass freute sich die 30jährige über ihre fünfte Schwangerschaft und ebenso auf Ausstellungen, an denen ihre Bilder mit dabei waren.
Ja, einen speziellen Raum richten wir für die Elisabeth der Kriegsjahre ein. Dort zeigen wir sie als Organisatorin des Familienbetriebs und als Kommunikationsstelle für die Malergruppe, die die beiden Mühlenwegs zusammen mit Sepp Biehler, Werner Rohland und Alexander Riehm gebildet hatten. Wir können sogar die Gründungsurkunde jener „Konstanzer Malergruppe 1938“ ausstellen und dass die Unterschriften der beiden Mühlenwegs nebeneinander stehen, auf gleicher Höhe, ist kein bloßer Zufall: der Freund Sepp Biehler hat die Hälften dieses Paars als so eigenständig erlebt, dass er aus Frankreich zuweilen an beide getrennt schrieb. Wenn wir genau hinschauen, ist Elisabeth bei ihrer Unterschrift über den Rand geraten. Fritz hatte ihr eigentlich genügend Raum gelassen…, wir nehmen’s als Zeichen ihrer Impulsivität und Großzügigkeit. Ihre zupackende Art war bald von Nöten: Denn als die Männer der Gruppe im Kriegsdienst waren, da war sie es, die für die Einhaltung der Gruppensatzung sorgte und Ausstellungen in München, Freiburg, Mannheim beschickte – und das alles inmitten ihrer Kinderschar:
Elisabeth, die mit Cornelia zum Doktor geht wegen Keuchhusten, die für Claudia ein Hütchen näht, Christian dafür lobt, dass er dem Nachbarn beim Heuen geholfen hat, Elisabeth, die die Kindergeburtstage zum Fest macht, und das Ausgehen der Milchzähne ebenso und die beim Abendessen eine Antwort auf die Frage der 6-jährigen Regina sucht: wie kommen denn die Ratten auf die Welt, aus Eiern?
Die Frau, die Massen von Beeren einkocht, stolz erwähnt, dass sie schon fast 300 Eier für den Winter eingelegt hat, Vorsorge einer begabten Köchin und Bäckerin, die mehr als nur einer Freundin zur Hochzeit ein handgeschriebenes Kochbuch schenkte, auf jeder Seite überm Rezept ein Farbbild, von Lebkuchen bis zum Einlegen von Eierschwammerln, von Spanischen Windbusserln bis zu Kalbsbries in Muscheln.
Und die am sehr späten Abend an den lieben Fritz im fernen Bordeaux schreibt. „Vielleicht komm ich dann auch wieder zum Malen, wonach ich so dringend verlange. Statt dessen plag ich mich mit der nie ausgehenden Hausarbeit herum und sehne mich nach Dir. Hoffentlich schreibst Du bald wieder, ich bin so froh über jeden Brief.“ Der 42jährige Fritz, dem sie schreibt, ist als Dolmetscher bei der Zollverwaltung, eigentlich aber setzen sie ihn in der glühheißen Stadt Bordeaux als Laufbursche ein. Und er möchte doch auch lieber arbeiten und malen. (Er hat in freien Tagen auch dort dann gemalt, auch Motive gesammelt, die Uferansicht von Royan dort hinten z. B. …)
Elisabeth tröstet ihn in ihren Briefen darüber, dass sie beide bei der Großen Deutschen Kunstausstellung 1940 im Münchner Haus der Kunst abgelehnt worden sind, dort aber die Bodensee-Maler Lotter und Münch-Khe angenommen wurden. Mühlenweg hatte das schon befürchtet, er und seine Lies malten beide, wie er meinte, nicht „heroisch“ genug für den politischen Zeitgeist.
6 Jahre später, bei der ersten internationalen Malerei-Ausstellung während der Konstanzer Kunstwochen 1946 wurden dann nicht Lotter oder Münch-Khe ausgestellt, aber Elisabeth und Fritz Mühlenweg waren mit dabei.
In jenem Raum für die Elisabeth der martialischen Jahre wäre noch viel auszustellen, das wir erst aus der Versunkenheit der Jahrzehnte holen müssen. Die Gelöstheit einer Frauenwelt, unbeschwert von den fixierenden Blicken der Männer. Sie hat bei einer Ausstellung der jungen Nelly Dix in Überlingen dort Tami Oelfken kennen gelernt, die Schriftstellerin, der die Nazis das Schreiben verboten hatten und die auf der Flucht durchs Chaos ihrer Inneren Emigration am Nordufer des Sees gelandet war. Tami Oelfken, die dann mit den Mühlenwegs sogar Weihachten feierte.

Direkt daneben dürfen wir den Business-Raum nicht vergessen. Künstler leben nicht von Anerkennung, sondern von Bezahlung ihrer Arbeit zur rechten Zeit. Museen im Nachhinein können ja etwas Zynisches haben. Man könnte die Mühen der Ebene, die von diesen Freischaffenden durchschritten wurden, schön sichtbar machen mit dem marmorierten Kontobuch, das die Hausfrau führte, linke Spalte Fritz, rechte Spalte Elisabeth. Der Wirtschaftsbetrieb, in dessen Anfangszeit er zuweilen für einen Mongolei-Vortrag 16 Mark bekam und sie für ein Hinterglasbild 20 Mark. Im Jahr 1942 hat er aber für drei Frankreich-Aquarelle so viel bekommen wie Elisabeth für einen größeren Halbakt,
und zur Veranschaulichung sei hinzugefügt: für beide war das jeweils soviel wie das Monatsgehalt einer Sekretärin in der Reichshauptstadt. Man könnte auch ablesen, wann bei Elisabeth die religiösen Motive zahlreicher wurden, ab wann sie einen florierenden Markt bedienen konnte und so die Familie zeitweise über Wasser hielt, während ihr Mann an einem Roman schrieb über eine Geheime Mission durch die Wüste Gobi, dessen Erfolg in den Sternen stand.

In unserem Museum – wir machen einen großen Bogen ums Kinderzimmer…, wir fragen also kein kleines Bisschen, warum der Autor Mühlenweg seinen Jugendlichen im großen Roman so ausgiebig den Fußfall der Verehrung und das Erstmal-Stilleschweigen in der Jurte beibrachte…
… wir installieren in diesem Kinderzimmer eine Musik, vom erprobten Vater Johann Sebastian Bach, aus der Kaffeekantate: "Hat man nicht mit seinen Kindern / hunderttausend Hudelei" –

…in unserem Museum sind wir nun schon am Mongolen-Raum: In einer Endlosschleife läuft der Film aus der Hedin-Expedition, den kennen wir doch, Wüstendünen, Kamelrücken, Klosterdächer im Sandsturm. Wir sehen durch einen Türspalt an der Wand auch jenes Foto, das Fritz Mühlenweg in Mongolentracht zeigt und von dem wir wissen, dass es im Atelier gestellt ist, aufgenommen von Lotte Eckener fürs Pressefoto des Herder-Verlags.. Es zeigt das hagere Gesicht des über 50-Jährigen, die Nachkriegsentbehrung ist noch sichtbar. In der Expedition hatte er ja ganz anders ausgesehen, zuletzt eher wie ein verfrühter Hippie, tiefgebräunt, schulterlanges Zottelhaar. Und einigermaßen gerührt sehen wir im Mongolen-Zimmer noch jene bronzenen Steigbügel, die der treue Märin ihm als Abschiedsgeschenk gab, wohl wissend, dass sie sich nicht mehr wieder sehen würden.

Und dann zuletzt der Raum der Stimmen. Eine Collage aus dem Gespräch der 28 gemeinsamen Jahre, die eigentlich 56 Jahre sind, wenn man die Ehe als den Versuch nimmt, ein Gespräch in Gang zu halten, über die Haut und über die Worte, und den Abstand zwischen den Kontinenten Frau und Mann ein wenig zu verringern: jene Mauer auch, hinter der Pyramus und Thisbe auf dem großen Bild aufeinander lauschen. Sie hatten einen jubelnder Anfang erlebt, die schöne, wohlgestaltete Elisabeth, wir wollen das doch nebenbei registrieren, und dieser körperstarke Mittdreißiger mit leuchtendem Blick…
Wir hören dann die Stimmen der gemeinsamen Unternehmungslust, aus dem mit beharrlichem Fleiß geschafften Erfolg, das erstaunliche Gelingen auch dann noch: als sie sich in einem wichtigen Punkt auseinander entwickelten, als Elisabeth zu ihrer katholischen Religiosität zurückfand und Fritz bei seiner protestantisch gefärbten agnostischen Weltsicht blieb… – er hat ihr da sogar eine biblische Geschichte geschrieben, die Speisung der Fünftausend, die sie dann illustrierte…

… und ganz zuletzt die tapferen, und die erstickenden Stimmen am Ende ihrer letzten vier Jahre, als ihn jeder Schlaganfall hilfloser zurückließ und sie von ihrer Nierenkrankheit schließlich überwältigt wurde.
Was sie sich sagten ist nur überliefert aus den Zeiten ihrer Trennungen, in den Briefen z. B., als er um die Unentschlossene warb, dann später, als der Krieg ein Land zwischen sie legte. Er war stolz auf darauf, wie entschieden sie die neuen Bilder ihres gemeinsamen Freundes Otto Dix kritisiert hat, schrieb aber von sich:
„Seit ich in Bordeaux bin, habe ich das Interesse nicht nur am Radio, sondern an der Zeitung vollkommen verloren. Wenn der Krieg zu Ende geht, wird man mir das schon sagen und alles andere ist für mich unwichtig. Einzig die Post von Dir erwarte ich mit Ungeduld und freue mich darauf.“ (FM 18.8.1940)
Und schließlich in den Briefen der Nachkriegsjahre, als unterschiedliche Aufträge tage- oder wochenlang ihre Abwesenheit von Allensbach forderten: als Elisabeth z. B. in St. Blasien ihren Kreuzgang malte:
“Liebe Lies, Ich bin doch nicht mehr recht geeignet, ohne Dich zu sein. Schon allein zu wissen, dass Du da bist, wenn ich Dich brauche, ist genug. Da es aber jetzt nicht so ist, fehlst Du mir sehr und meinen Arbeiten wird man es anmerken.“

Oder zuletzt dann die Briefe des erfolgreichen Schriftsteller, der mit seinen Mongoleiromanen auf Lesereisen durch die deutschsprachigen Länder tourt, kleine Buchhandlungen, voll besetzte Turnhallen, schließlich riesige Säle.

Ich hoffe ja, dass wir in jenen Collage-Raum der Stimmen dereinst die gedruckte Sammlung ihrer Briefe legen können, ein Buch, das dieses ebenbürtige Paar in progress zeigt, ein Mann und eine Frau, die sich weitergeholfen haben, und deren Liebe und Kummer und Alltagsmühen von einem nicht abreißenden Gespräch über Kunst konturiert waren – und da hängen wir dann die Bilder etwa so, wie Frau Hagemann sie hier im Eingangsbereich geordnet hat, die so unterschiedlichen Porträts und Stillleben der beiden: gerade nebeneinander, das Gespräch zwischen den Bildern geht dann weiter, und mir ist es, als ob wir auch in diesem Raum der Stimmen die Musik von Bernd Konrad hören sollten…


Ekkehard Faude über Fritz und Elisabeth Mühlenweg, Laudatio bei der Eröffnung der Allensbacher Ausstellung am 9. Juli 2006
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